Serbien – 18.8 bis 22.8.2008
Seit 15 Jahren kennen Slobodan und ich einander - bisher waren wir nicht in seinem Heimatland. Das hatte verschiedene Gründe, vor allem waren es meine Bedenken, dass Slobodan bei der Einreise als Doppelstaatler Probleme bekommen und eventuell zum Militärdienst eingezogen werden könnte. Seit des Zerfalls von Jugoslawien, war die Region politisch nicht immer stabil.
Den Besuch haben wir so vor uns hergeschoben. Ein Seminarbesuch von Slobodan im Frühjahr gab dann die Initialzündung. Außerdem lebt sein Vater nun wieder den größten Teil des Jahres in Zrenjanin (Slobo's Geburtsstadt) – seit 1,5 Monaten mit seiner neuen Frau und so haben wir uns zu dem Besuch entschlossen.
Mit einem mulmigen Gefühl, aber auch mit Neugierde starte ich in den Urlaub.
Serbien von Anfang an: wir fliegen mit der JAT – der jugoslawischen Airline. Die Sitze sind zugeklebt, die Schwimmwesten drohen aus den Fächern zu fallen, obwohl wir gar nicht auf dem Wasser gelandet sind ;-)) Gott sei Dank ist der Flug ruhig und wir kommen wohlbehalten in Belgrad an. Geschafft, denke ich....aber dann kommt die Autofahrt.
Slobo's Vater (Miladin) holt uns am Flughafen ab. Die Einreise mit dem dt. Pass ist kein Problem. Um 20.00 Uhr bei unserer Ankunft ist es bereits dunkel und die Autofahrt ist für mich eine größere Herausforderung als der Flug....Miladin sieht offensichtlich schlecht – schon bei der Abfahrt vom Parkplatz baut er fast einen Unfall – er fährt rückwärts ohne nach hinten zu schauen; erst das Hupen des Hintermanns alarmiert ihn. Wir fahren los, verfahren uns. Nach eine ½ Stunde experimentiert er mit der Brille herum, meint er sieht schlecht. Ich stelle fest, dass die Brillengläser total verschmiert und dreckig sind, eine Reinigung tut Not. Aber auch danach wird mir nicht wohler. Miladin fährt auf Hindernisse ungebremst und mit hoher Geschwindigkeit zu, ich bin mir nie sicher, ob er sie auch gesehen hat. Wenn er überholt, ist der Abstand minimal und es sieht für mich jedes Mal so aus, als ob wir auf Rammkurs sind. Ich gehe auf dem Beifahrersitz ein ums andere Mal in Deckung oder mache die Augen zu. Da wir uns verfahren haben, müssen wir über eine kurvenreiche Bergstrasse, die auch von LKW stark genutzt wird.....nach 2 Stunden kommen wir in Zrenjanin an, ich bin durchgeschwitzt und mein Adrenalin Pegel ist am Anschlag. Wieso dachte ich Fliegen ist aufregend?
Diese Fahrweise behält Miladin auch in den nächsten Tagen bei. Ob als Auto- oder Radfahrer, rote Ampeln, Vorfahrt oder Einbahnstraßen: Miladin macht sich seine eigenen Verkehrsregeln...und ich sitze nur noch hinten, den Beifahrersitz überlasse ich Slobo, der hat die stärkeren Nerven.
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Das Haus ist klein und wir schlafen in Miladin + Bozana's Schlafzimmer, die beiden sind ins Wohnzimmer umgezogen. Die Einrichtung ist wie aus den 6o/70er Jahren, alles ist alt – ein Antiquariat.
Miladin
und Slobo vor dem Gerichtsgebäude in Zrenjanin
Die Gastfreundschaft ist unglaublich, wir werden in den 4 Tagen umsorgt, serbisch bekocht und dürfen selber nichts tun. Miladin unternimmt mit uns jeden Tag eine neue Reise in die Vergangenheit durch Zrenjanin: wir fahren zum Krankenhaus, in dem Slobo geboren wurde, zu seinem Schulhaus, wo er ein ½ Jahr zur Schule gegangen ist, zu Miladin's Elternhaus, wo Slobo die ersten Schritte gemacht hat. Wir schauen uns die Innenstadt an, das Rathaus, den Park, an den Slobo sich noch erinnert, besuchen das Grab seiner Oma und Tante. Aber auch Orte und Gebäude, die neu sind, besuchen wir – mal mit dem Auto, mal mit dem Fahrrad. Auch für Miladin ist es eine Reise in die Vergangenheit, manche Orte hat auch er jahrelang nicht besucht.
Slobo erkennt nicht mehr viel wieder – es hat sich zu viel verändert. Der Ort ist städtischer geworden, Felder und Wiesen seiner Kindheit sind bebaut. Der Ort spiegelt Zerfall und Aufbruch in einem. Es mischen sich zerfallene Gebäude mit neuen, modernen. Die Eisenbahnlinie ist kaum noch befahrbar, nur versprengte Güterzüge, die im Schneckentempo fahren, sind ab und an zu besichtigen. Ebenso viele Waggons stehen verrottet auf Abstellgleisen am Bahnhof. Die Straßen sind oft schlecht, Fahrradwege gibt es fast gar nicht. Auf der Straße sind moderne PKW, absolute Schrottkisten, LKW, die an DDR Zeiten erinnern und ab und zu auch Pferdegespanne unterwegs. Es ist überall in der Stadt spürbar, dass es an Geld für Modernisierung und Infrastruktur fehlt. Es gibt zahlreiche Hochhäuser am Stadtrand: Bonjour tristesse möchte man sagen, wenn man das sieht.
Die Landschaft ist von der langen Hitze ausgedörrt und gleicht einer Steppe. Es gibt so gut wie keine Wälder und wenig Bäume. Dafür strahlen der blaue Himmel und die Sonne jeden Tag um die Wette. Es ist zwischen 30 und 34 ° heiß, es gibt kein Schwimmbad oder Badesee – das Meer ist weit weg. Die Hitze bestimmt den Alltag. Über die Mittagszeit verkriechen sich alle in ihren Wohnungen oder Häusern. Erst am Abend kommt wieder Leben in die Stadt. Dann sind alle draußen, die Nachbarn sitzen auf der Straße zusammen und plaudern, die Kinder spielen. Slobo bekommt von den Nachbarn die ein oder andere Geschichte zu hören, an die er sich nicht mehr erinnert. So hat eine Nachbarin ihm als er klein war, einen selbstgemachten Berliner geschenkt. Slobo nimmt ihn, bleibt aber stehen, schaut die Nachbarin an und sagt, meine Mutter hat auch gerne Berliner.
Unser Aufenthalt wird ebenfalls von der Hitze geprägt. Nach dem wir am Vormittag unterwegs sind, machen wir nach dem Mittagessen einen Mittag Schlaf. Überhaupt essen und trinken wir häufiger und mehr als zu hause. Bozana hat ständig das Gefühl wir könnten verhungern und so kommen wir auf 5-6 Mahlzeiten am Tag. Auch Bier (Pivo) und Slivowitz gehört hier zu jeder Mahlzeit...dafür ist der Kaffee dünn und es gibt nur morgens eine Tasse....andere Länder, andere Sitten. Das Motto: 3kg in 3 Tagen....allerdings nicht ab- sondern zugenommen - na ja, ganz so schlimm, ist es dann doch nicht, aber wir haben in den 4 Tagen beide zugenommen. Einen Gewichtszuschlag auf dem Rückflug müssen wir aber noch nicht zahlen ;-))
D

Gerda,
Miladin und Slobo vor der Brücke über dem Begej-Kanal
Wir schauen uns alte Fotos an – Fotografieren war früher Miladin's Hobby und so gibt es reichlich Bilder – auch Kinderfotos von Slobo, Valentina und Nina. Bozana kann kein deutsch, ich kein serbisch und so sind die Unterhaltungen mal in deutsch und mal in serbisch.

Gerda,
Slobo, Miladin und Bozana im Stadtzentrum vor einem Denkmal
Slobo kommt gut in beiden Sprachen zu recht. Für mich ist das Gefühl und die Erfahrung neu, in einem Land zu sein, in dem ich mich nicht verständlich machen kann und um mich herum alle eine Sprache sprechen, die ich nicht verstehe. So müssen sich Einwanderer bei uns fühlen. Ich fühle mich in meiner Einschätzung bestätigt, dass die gemeinsame Sprache der Schlüssel zu Kultur und den Menschen ist. Sollte ich jemals auswandern, dann hat das Erlernen der Sprache für mich oberste Priorität.
Die Reise ist eine Reise in die Vergangenheit von Slobo's Familie. Slobo und Miladin kommen sich wieder näher, Slobo fühlt sich nach der Reise geerdet. Ich stelle fest, wie viel Ähnlichkeit Slobo und Miladin haben. Die Verwegenheit, die Entschlossenheit, aber auch die Heimatlosigkeit und die innere Unabhängigkeit, die immer da sind, sind Eigenschaften, die beide gemeinsam haben. Auch für mich ist es gut zu sehen, wo Slobo herkommt, wo sein Zu hause in Serbien ist, unter welchen Umständen, er die ersten Jahre verbracht hat, was ihn geprägt hat. Wer weiß, wie sein Leben ausgesehen hätte, wenn er nicht mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen wäre.
Als wir nach 4 Tagen wieder in Düsseldorf landen, gibt es Vertrautes – es regnet – und Unvertrautes: bei der ersten Lautsprecher Durchsage zucke ich überrascht zusammen.... ich habe mich offensichtlich doch sehr an das 'serbische Grundrauschen' um mich herum gewöhnt.
Fazit: Ein gelungener, intensiver Besuch, der sicher nicht einmalig bleiben wird.